Ein großer Vorteil von materiellen Dingen ist ihre Fähigkeit, sich mit Erinnerungen und damit auch Emotionen aufladen zu können. So war das damals mit der Schallplattensammlung, mit Büchern im Regal. Wer Technologie schätzt, hängt vielleicht an einem alten, aber edlen Verstärker oder an einer schicken Espressomaschine.

Doch wenn liebgewordene Geräte ihren Dienst quittieren, dann ist der Frust groß – bei meiner Espressomaschine war zum Beispiel der Boiler defekt, am Mountainbike meines Kollegen die Schelle vom Bremshebel am Mountainbike. Man mag sich nicht trennen – aber was tun?

Reparieren wäre die Lösung. Das erhält nicht nur die emotionale Bindung, sondern schont sowohl die Umwelt als auch den Geldbeutel. Denn das Entsorgen funktioniert häufig nur auf dem Papier. In vielen Fällen wandern ausgediente Konsumgüter auf die Mülldeponie, werden verbrannt oder exportiert. Der anschließende Ersatzkauf erfordert neue Ressourcen, kostet Energie und vermiest die persönliche CO2-Bilanz.

Für handwerklich minderbegabte Menschen ist Reparieren oft eine große Hürde. Jedenfalls auf den ersten Blick. Oft genug ist es eher eine kulturelle Barriere.
Denn inzwischen gibt es vielversprechende Ansätze für eine neue Kultur des Reparierens, die wir hier kurz vorstellen wollen.

Reparieren (wieder er-)lernen

Repair Café

In großen Städten und selbst auf dem Land gibt es immer mehr Initiativen, bei denen Experten bei allen möglichen Reparaturen helfen. Häufig liegt der Schwerpunkt auf der Reparatur von Haushaltsgeräten – die erwähnte Espressomaschine wäre dort also in guten Händen. Es gibt sogar eine weltweite Organisation, die es Ehrenamtlichen leicht macht, in ihrer Region eigene Reparatur-Cafés zu eröffnen. So lässt sich Knowhow teilen und die Nutzungsdauer von Geräten erhöhen.

Wer googelt, findet vielleicht sogar auf dem Land eine entsprechende Initiative – das gibt es sogar in Buxtehude, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen. Die erstaunliche Zahl von 16 ehrenamtlichen Ingenieuren und Technikern ist dort aktiv. So hemdsärmelig die Idee des Reparatur-Cafés klingt: Der Effekt kann gewaltig sein: Laut der Organisation One Earth halfen allein die in der Repaircafe.org-Initiative angeschlossenen Einrichtungen 2018 dabei 350.000 Produkte vor der Deponie zu retten (und eine ebenso große Zahl Neukäufe zu verhindern).

Service-Angebote von Herstellern

Wer reparieren will, braucht nicht nur technischen und fachlichen Rat – sondern vor allem Ersatzteile. Wenn man sich erstmal damit beschäftigt, helfen erstaunlich viele Unternehmen bereitwillig (und wenn man Glück hat auch kostenlos) mit Ersatzteilen aus.
Meine Kopfhörer bekamen auf diese Weise neue Ohrpolster. Eine Outdoorjacke, die beim Sturz einen Riss bekommen hat, wurde mit einem wasserdichten Flicken von innen versehen, der Riss fachgerecht vernäht. Die edle und eigentlich haltbare Großmülltonne meiner Kollegin erhielt innerhalb von zwei Tagen ein neues Scharnier (und das alles als digitaler Prozess mit wenigen Klicks).

Der direkte Kontakt zum Hersteller lohnt sich in vielen Fällen und hilft, Müll zu vermeiden.
Wer mehr will, muss lernen. Zum Beispiel den Umgang mit dem Schraubenzieher und Explosionszeichnungen.

Do-it-yourself

Manche Geräte sind leichter zu reparieren, als man denkt. Gerade für beliebte Haushaltsgeräte hat sich ein großer Markt für Ersatzteile etabliert. Betagte Siebträger-Espressomaschinen enthalten oft mehr Luft als Teile. Wer ein wenig mit dem Schraubenzieher umgehen kann, ersetzt durchgebrannte Sicherungen und Kleinteile wie Boiler, Pumpen und Schläuche relativ leicht selbst. Im Internet gibt es dazu massenhaft Reparaturvideos (sprich: Tutorials). Fortgeschrittene machen sich selbst über komplexe Geräte wie Smartphones her. Anbieter wie ifixit.com bieten sehr detaillierte Anleitungen und teilweise auch Ersatzteile.
Wer sich das selbst nicht zutraut, kann auch kombinieren: Fehlersuche online recherchieren, Ersatzteil bestellen und Reparatur-Café aufsuchen.

Become a creative Fixer-Upper

Print-it-yourself

Die nächste Stufe der erweiterten Reparaturkultur, ist das selbst Anfertigen von Ersatzteilen, sofern es dafür bereits 3D-Druck-Dateien gibt. Mein Kollege Günter hat sich als versierter Industriedesigner eine kaputte Schelle für seine Mountainbike-Bremse als CAD-Modell angefertigt und über einen Dienstleister in Metall ausdrucken lassen.

Beim Kauf von Werkzeugen muss Zubehör oft extra gekauft werden – ist es noch intakt, fehlt manchmal nur der passende Adapter. Diese Kleinteile lassen sich oft gut per 3D-Drucker herstellen.

Für derartige Teile gibt es mittlerweile große Online-Plattformen wie thingyverse.com auf denen sich alle möglichen Teile als 3D-Druck-Datei finden lassen. Darunter Lego-Bausteine, Laptophalter, Schutzkappen für Zangen – die Liste ist schier endlos.

Es gibt auch Bibliotheken (zum Beispiel: https://www.myminifactory.com/category/brands-spare-parts), die explizit Ersatzteile von Markengeräten anbieten – allerdings ist das ein Bereich, in dem man schon genau prüfen muss, ob Nutzungsrechte der Hersteller verletzt werden.

Auch für Hersteller ergeben sich hier Möglichkeiten, indem geeignete Teile direkt als Datei angeboten werden – evtl. in Verbindung mit den passenden Druck-Service-Partnern. Der Trend geht auch im Industriemaßstab dahin, dass statt physischer nun digitale Lager aufgebaut werden. Die 3D-Daten werden vorgehalten und bei Bedarf wird das benötigte Teil gedruckt. Inzwischen gibt es eine Reihe von Dienstleistern, die beim Aufbau dieser digitalen Inventardatenbanken und dem Prozess des 3D-Drucks helfen.

Advance-it-yourself

Den echten Spezialisten und Nerds ist die letzte Kategorie gewidmet. Wer in der Lage ist, eigene Druckdateien in CAD herzustellen, kann alten Geräten gleich noch ein paar neue Features hinzufügen, die Stabilität verbessern, andere Materialien verwenden und vieles mehr.

Die Technische Universität Delft bietet für das systematische Entwickeln von Ersatzteilen eine ausführliche Anleitung unter https://www.tudelft.nl/io/onderzoek/sustainability/sharepair.

Design for Repairability

Bei vielen Konsumgütern sind der Reparatur jedoch enge Grenzen gesetzt: Verbindungen sind verklebt, Bauteile so miteinander verbunden, dass sie nicht ohne Zerstörung getrennt werden können oder die Verfahren sind so aufwändig, dass Spezialwerkzeug nötig ist.

Hier sind Unternehmen in der Pflicht: Wer beim Re- oder Neudesign von Produkten auf modularen Aufbau und damit einfache Reparierbarkeit achtet, hat automatisch eine längere Kundenhaltedauer. Kombiniert mit gutem Service kann dieser Kontakt dann ein Leben lang halten.


Anmerkung zu den zahlreichen Links: Wir sind mit keinem der Anbieter verbandelt oder arbeiten für diese. Aber basierend auf unserer persönlichen Erfahrung können wir sie empfehlen. Haftbar machen lassen wir uns für deren Inhalte/Services aber natürlich nicht.

Michael Leitl

Michael Leitl

Innovation & AI Strategy

Als Chemiker, langjähriger Redakteur beim „Harvard Business Manager“, Mitglied des Innovationsteams bei „Der Spiegel“ und mehr bringt Michael viel Wissen in das Team ein und für unsere Partner und Kunden mit.

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