Im bewährten Format “3 Fragen an…” stehen uns Alexa Böckel und Dr. Ilka Weissbrod Rede und Antwort. Alexa promoviert, lehrt und forscht am Centre for Sustainability Management der Leuphana Universität Lüneburg, ist Stipendiatin der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und Research Associate an der Technischen Universität Dresden. Ilka ist Director Sustainable Circularity bei Indeed Innovation und Strategic Research Partner an der Technischen Universität Dresden. Zusammen mit Jan Quaing (nachhaltig.digital) und Julia Böhm (Wirtschaftsförderung Bottrop) haben sie das Buch Mythen der Circular Economy herausgegeben, dass ab 01. Juli 2022 zum Download bereit steht.

Seit The Economics of the Coming Spaceship Earth von Kenneth E. Boulding 1966, geistert der Begriff Zirkularität durch verschiedene Diskurse. Ausreichend Zeit möchte man meinen, dass sich trotz der Bestrebungen der Ellen MacArthur Foundation u.a., Mythen etablieren konnten, die einer nachhaltigen und zirkularen Zukunft im Wege stehen. Welche haben euch am meisten geärgert und warum?

Was ist für dich bei der Umsetzung einer Circular Economy die größte Herausforderung? – Das Paradigma, dass die derzeitigen Lieferketten und das lineare Wirtschaftssystem unveränderlich sind. Dabei wird oft vergessen, dass dieses System von Menschen kreiert wurde und es somit veränder- und gestaltbar ist.

Maike Buhr, Autorin

Alexa: Ich finde es sehr schade, dass Recycling oft die erste Assoziation ist, mit der die Circular Economy verknüpft wird, denn das Konzept umfasst viel mehr! Es geht darum, dass ein stark konsumierender Teil der Menschheit ein anderes Verhältnis zu Ressourcen und Materialien entwickeln muss und versteht, dass jedes Produkt mit wahnsinnigem Aufwand entsteht. Diesen Aufwand dürfen wir nicht unbeachtet lassen. Auch die Rechtfertigung von einigen Unternehmen, dass alternative Materialien, alternative Nutzungen und zirkuläre Geschäftsmodelle unmöglich umzusetzen sind, kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich braucht es Lust an der Veränderung und Innovationsgeist, aber deswegen existiert unternehmerisches Handeln: um den Status quo zu verändern. Und unser Buch liefert nur einen Bruchteil der Lösungen, die es schon gibt.

Ilka: Mich hat am meisten geärgert, dass Circular Economy alter Wein in neuen Flaschen sein soll. Ja, selbstverständlich ist das Verbundkonzept Circular Economy eine Weiterentwicklung des Dialogs und Denken der Nachhaltigen Entwicklung, wie diese Frage ja auch sehr schön aufzeigt. Mich ärgert es immens, wenn versucht wird Circular Economy als alleinstehendes statisches Konzept abzugrenzen, oft verbunden mit der Aussage ‘Gab es alles schon, ist nichts neues und funktioniert aus diesen Gründen nicht!’, und die Schwächen aufzuzeigen. Dabei sollte es darum gehen, die bestehenden konzeptuellen Ansätze als Inspiration für Lösungswege weiterzuentwickeln, um Material-, Energie-, Informations- und Wertschöpfungskreise zu schließen. Im verbleibenden kleinen Zeitfenster für das Bewältigen von Klima- und Ressourcenherausforderungen ist die Circular Economy die einzige Chance Wirtschaftsakteure um ein Konzept herum zu vereinen.

32 Autor:innen kommen in eurem Sammelband zu Wort aus teilweise ganz unterschiedlichen Bereichen wie Bauen oder Mode. Gibt es einen Mythos, der alle Branchen umtreibt oder hat jeder Fachbereich eine eigene Rechtfertigung für nicht nachhaltiges Handeln entwickelt? 

Alexa: Ich glaube, der Lieblingsmythos ist, dass zirkuläre Geschäftsmodelle zu kostenaufwändig im Innovationsprozess und wirtschaftlich unprofitabel sind. Dieser Mythos zeigt sich in allen Branchen. Branchenspezifisch gibt es nochmal Unterschiede, die sich am Beispiel der Baubranche und dem Modebereich zeigen. In der Mode geht es viel um Konsumierendenakzeptanz, dass nachhaltige Mode ästhetisch nicht mithalten kann oder Konsumierende zu faul sind um sich um ihre Kleidung zu kümmern. In der Baubranche geht es eher um kooperierende Unternehmen, die beispielsweise Baustoffe weiterhin verkleben wollen oder Transparenz der verbauten Stoffe für irrelevant halten.

Was bedeutet Circular Economy für dich? – Die Chance, den unumkehrbaren Rohstoffmangel aufzuhalten und drängende soziale Fragen zu beantworten. Es ist notwendig, Pfadabhängigkeiten aufzubrechen, Wirtschaft und Gesellschaft neu zu denken.

Jan Quaing, Herausgeber

Ilka: Ich bin da mit Alexa einer Meinung: die vermeintliche Unwirtschaftlichkeit zieht sich durch alle Bereiche und untermauert viele Mythen. Ich glaube, dieser grundlegende Mythos basiert auf dem Mindset, dass wir irgendwie doch finanziell immer weiterwachsen können und müssen, um als Gesellschaft zu funktionieren und respektabel zu sein. Und, na klar, ist die Alternative sehr komplex und es ist unmöglich, im Vorhinein zu wissen, was das Resultat einer jeden Handlung ist, die auf die Umsetzung einer Circular Economy abzielt. Das ist ungemütlich und verlangt neues Denken, Arbeiten und Leben von uns. Da ist es einfacher, Mythen zu kultivieren um unseren derzeitigen linearen Status Quo zu rechtfertigen.

Was ist die wichtigste Handlungsempfehlung, die ihr allen Leser*innen mit auf den Weg in eine bessere Zukunft geben wollt?

Alexa: Schaut um euch herum, wer sich bereits engagiert und tut euch zusammen. Seid offen für Kooperationen der ungewöhnlichen Art, die nicht auf den ersten Blick entstehen. Scheut euch nicht vor der Komplexität, in der wir leben. Nehmt sie an! Und hört nicht auf kritisch mit euch selbst zu sein. Circular Economy darf nicht das nächste Green-Growth Paradigm ungeachtet der ökologischen Grenzen und globaler Ungleichheiten werden.

Ilkas Appell: Fangt mit der Umsetzung an! Insbesondere die Kollaboration mit Partnern aus zirkulären Wertschöpfungsnetzwerken ist der gemeinsame Nenner bei Lösungsansätzen. Diese Wertschöpfungsnetzwerke ermöglichen eine gewisse Verlässlichkeit in der Transformation, das Teilen von Learnings und die angemessene Begegnung in unserer komplexen Welt.

Das Buch Mythen der Circular Economy, wobei wir bei Indeed Innovation pro-bono unterstützen durften, erscheint am 01. Juli 2022 als kostenfreies PDF. Die gedruckte Erstauflage kommt dank der Unterstützung der Bertelsmann Stiftung spätestens im Herbst.

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