Die Schadenfreude, wenn ein Einhorn in die Knie geht, ist aktuell allgegenwärtig. Nicht nur Gründermedien sondern auch die Tagespresse zerpflücken genüsslich den „Fall“ von WeWork und seinem einstigen CEO. Plötzlich finden viele Adam Neumann untragbar. Dabei hatte eben dieser zuvor Unsummen an Investitionsgeldern eingesammelt und wurde als Lichtgestalt unter den Start-up-Gründern gefeiert. Und ja, bestimmt polarisiert seine Person, das tut Musk aber auch und Jobs war ebenfalls nicht gerade Mainstream.

Vom Einhorn zum lahmenden Gaul

Lassen wir außer Betracht, dass man erfolgreichen Menschen einfacher ihre Schrullen zu verzeihen scheint und WeWork im engeren Sinne auch kein Tech-Unternehmen ist, das Patente oder Big Data hält, die die Investitionen absichern. Wenden wir uns stattdessen der Beobachtung zu, dass viele Entscheider nun dazu neigen, die Idee mitsamt dem Börsenkurs den Bach runter gehen zu lassen.

In den letzten Tagen hörte man häufiger: „Das war auch eine Schnapsidee, die Menschen wollen kein Co-Working“ oder „Das ist wie Uber, erst gehypt dann Kurssturz“. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wir sollten uns fragen, was bleibt beim Verbraucher/Kunden/Menschen hängen. Egal ob tot, angeschossen oder lahmend, welchen Einfluss haben die Einhörner auf die Kundenerwartung? Welches systemimmanente Problem haben sie mit ihrem Angebot hinterfragt?

„Profit matters“

Schauen wir zurück: Evernote war 2012 DIE Lösung für digitale Notizen und wurde mit mehr als zwei Milliarden US-Dollar bewertet. Also der Summe, die WeWork im Jahr 2018 als Verlust verbuchte. Doch fehlerhafte Versionen und massive Datenlecks trieben die Kunden der Konkurrenz, OneNote oder Gsuite, in die Arme. Aktuell hält sich Evernote mit Umsatzmeldungen zurück.

Gelernt haben die Verbraucher: Digitale Notizen sind super. Statt ein Heft mit sich rumzuschleppen, können alle Tasks in einer App gespeichert und von überall erreichbar sein.

Uber wurde vor dem Börsengang im Mai 2019 mit 90 Milliarden US-Dollar bewertet. Während das Unternehmen weiterhin Verluste schreibt, sank der Aktienwert um mehr als ein Viertel. Ungeachtet einer Vielzahl arbeitsrechtlicher Fragen und Führungsproblemen, rufen sich viele Leute trotzdem weiterhin ein Uber um von A nach B zu kommen.

Denn die Verbraucher haben gelernt: Es gibt Alternativen zum eigenen Auto oder zum öffentlichen Personennahverkehr der Städte und Taxiunternehmen. Das mag nicht jedem gefallen, aber das Bedürfnis nach Flexibilität und bezahlbarer Bequemlichkeit ist unleugbar.

Auch Snapchat reiht sich in die Schar geschwächter Einhörner ein. Verluste und stagnierende Nutzerzahlen prägen die Stimmung. Dabei erfreut sich die Grundfunktion „(Bewegt-)bild mit begrenzter Haltbarkeit“ steigender Beliebtheit bei Konkurrenten wie Instagram oder TikTok.

Überspritzt formuliert, musste der faule Konsument also nur kurz warten, bis seine präferierte Plattform die Funktion bei einer Aktualisierung übernahm. Es gibt also kaum einen Anlass, den Anbieter zu wechseln, die präferierte Option ist nur ein Update-Release entfernt.

MoviePass gewann in Amerika über zwei Millionen Kunden, bevor es seinen Service einstellen musste. Hier ging die Theorie nicht auf, dass viele Abonnenten ihr Kontingent an Kinotickets nicht ausschöpfen würden. Genau diese „Fördermitgliedschaften ohne Abruf einer Leistung“ waren aber die Rechengrundlage für die beworbenen Dumpingpreise. Ein Modell, das bei McFit besser aufzugehen scheint.

Scheinbar sind Einhörner weder selten noch magisch…

Wir könnten jetzt noch mehr Beispiele von Einhörnern und Start-ups aufzählen, wo der Markt vielleicht nur etwas, die Kunden jedoch viel gelernt haben. Amazon oder Apple waren auch mal Start-ups, die im Laufe der Zeit die Marktakteure herausforderten und gleichzeitig ein breites Lernfeld für den Verbraucher waren.

Von Amazon haben wir alle gelernt, dass „Lieferung am nächsten Tag“ tatsächlich das heißt und Warten oder Geschiebe in Innenstädten etwas für Masochisten ist. Von Apple haben wir gelernt, dass Musik-Streaming für 99 Cent straffrei ist, nach spätestens vier Jahren ein vormals teures Endgerät kein Update mehr erhält und somit schrottreif ist oder dass man an die Genius-Bar nur mit Termin kommt.

Ja, wir lernen als Verbraucher jeden Tag. Auch dass Moias fünfmal am Tag leer an einem vorbeifahren, wenn man aber eins braucht, keins verfügbar ist. Wir tragen das mit Fassung. Was uns jedoch die Fassung verlieren lässt, ist der Moment, wo das Angebot eines Dienstleisters fünf Werktage braucht, wo ein Kurier nicht vor zwölf liefert oder wo die User Experience der Buchhaltungssoftware anspruchsvoller ist, als die des App-Stores. In diesen Momenten werden selbst B2Bler zu frustrierten Verbrauchern.

B2B=B2C?

Und genau darum geht es: Egal ob B2B oder B2C, wir dürfen uns bei der Ausgestaltung unseres Angebots nicht darauf verlassen, dass nur die Erfolgsgeschichten aus unserer eigenen Branche oder Nische unsere Kunden beeinflussen. Auch an der Börse oder am Markt gescheiterte Konzepte von ganz anders gearteten Unternehmen können die individuelle Anspruchshaltung verändern und unsere Geschäfte beeinflussen.

Dementsprechend: Immobilienmakler sollten sich fragen, ob Mindestmietzeiten heute noch angemessen sind, wo alles nach Flexibilität und Agilität schreit. Gleiches gilt für Kleinstunternehmen: Ist eine Bürogemeinschaft vielleicht eine bessere Option als allein irgendwo zu sitzen? Braucht ein Team vielleicht den Austausch mit branchenfremden, um die eigene Leistung zu reflektieren?

Softwareentwickler tun ebenfalls gut daran, Funktionen der Konkurrenz oder massentaugliche Features langfristig zu integrieren, statt sie kategorisch abzulehnen.

Alles dreht sich immer mehr um Services

Im Design von Erlebnissen und Services sind die Einhörner wirklich gut. Während die bekannten Player ihre teils auch herausragende Leistungen stark unter Wert verkaufen. So könnte das für Taxi-Fahrer zum Beispiel heißen, dass ihr größter USP ihre unbedingte Verlässlichkeit und Professionalität ist. Wobei sie sich, was Individualität und Persönlichkeit angeht, vielleicht von dem ein oder anderen Uber-Fahrer eine Scheibe abschneiden können. Auch Hoteliers und Städte könnten sich an den Learnings von AirBnB abarbeiten, statt Kampfpreise oder Stimmung zu machen. Vereinfachte Meldesysteme und eine stärkere Auslobung des tatsächlichen Serviceangebots sind bereits ein Schritt in die richtige Richtung.

Lernen statt Schadenfreude sollte die Devise sein. Wir versuchen selbst regelmäßig unsere Angebote zu hinterfragen, obwohl das manchmal schmerzhaft ist. Schließlich ist jeder Anbieter „investiert“ in sein Angebot. Deshalb bleibt zu fragen, ob auch die Investoren etwas aus den aktuellen Beispielen lernen werden und ihr eskalierendes Commitment in den Griff bekommen.

Too-much-invested-to-quit-Syndrom

Als Historikerin muss ich da skeptisch sein. Denn allein in meiner Lebensspanne habe ich drei Blasen entstehen und platzen sehen. Erst waren alle heiß auf Irgendwas mit Internet (Dot-Com-Blase). Dann glaubten alle an kreditfinanzierte Eigenheime (Immobilien-Blase, Bankenkrise, Rettungsschirm etc.). Und nun sind es eben die Einhörner.

Als Germanistin und Soziologin setze ich darauf, dass Personen sich entwickeln können. Dementsprechend schlucke ich als B2B-Marketeer meine eigene Schadenfreude herunter und überlege ernsthaft, wie wir unser Angebot besser angesichts sich verändernder Kundenerwartungen machen können. Oder wie seht ihr das?

Erstveröffentlichung im Blog von crowdmedia

Stefanie Wibbeke

Stefanie Wibbeke

Marketing & Communications

Stefanie leitet unser Kommunikations- und Content-Team. Als Wahlhamburgerin glaubt sie an Multi-Channel-Experiences und Häkeln.

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