Wo war Design, als die wirklich wichtigen Dinge in der Geschichte der modernen Menschheit passiert sind? Also die wirklich wichtigen Dinge, nicht die Entwicklung einer Schrift wie Helvetica oder ein für die Masse gestalteter Hocker. Ich denke an die Entdeckung des Penizillins, die Verbreitung der Elektrizität oder die Etablierung des Krankenkassensystems. Designer finden in den Geschichtsbüchern keine Erwähnung. Doch was wäre, wenn die Zeit im Schattendasein von Technologie und Wirtschaft sowie der globalen Unbedeutsamkeit vorbei sind?

Design ist im Business Club angekommen. Design ist jetzt erwachsen.

In den letzten Jahren haben alle großen und wichtigen Unternehmensberatungen Designbüros und -agenturen weltweit aufgekauft und in ihre Wertschöpfungskette als essenziellen Bestandteil integriert. Bücher über Design Thinking, User Centricity und Customer Journey sind Pflichtlektüre eines jeden CEOs. Design ist im Business Club angekommen. Design ist jetzt erwachsen. Keine Firma, auch keine Behörde, kann heute die digitale Transformation ohne Fokus auf User Experience (UX) erfolgreich bewältigen. Und UX ist das Trojanische Pferd, mit dem moderne Designlehre, Designmanagement und Designpraxis in unser aller Arbeitsleben Einzug gehalten hat.

Mit dem Einfluss folgt die Verantwortung. Denn kaum hat UX die Kinderstube der oberflächlichen Gestaltung verlassen, wird sie als strategisches Mittel in Form von Persuasive Design zur Erlangung kapitalistischer Weltdominanz im digitalen Zeitalter genutzt. Dabei wird modernstes Designverständnis (inklusive Design Research und Verhaltenspsychologie) zusammen mit Technologie so genutzt, dass wir in kontrollierender Absicht das menschliche Handeln zum wirtschaftlichen Vorteil eines Unternehmens leiten und lenken.

Was vor knapp 20 Jahren mit der Intention, die Nutzung einer Website für den Anwender zu optimieren, begann, führt heute dazu, dass selbst gestandene Erwachsene nur schwer dem In-App-Kauf innerhalb eines Online-Spiels widerstehen können. Wegbereiter und Vordenken für Persuasive Design ist B. J. Fogg, der auch das »Behavior Design Lab« der Stanford Universität als Gründer führt und sich intensiv damit beschäftigt, wie Computer unser Denken und Handeln verändern und beeinflussen können.

Jeder Mensch erlebt alltäglich, wie Design ihn in seinem Denken und Handeln beeinflussen kann.

Als Designer empfinde ich eine gewisse Genugtuung, dass das eigene Fach endlich wirklich ernst genommen wird. Und jeder Mensch erlebt alltäglich, wie Design ihn in seinem Denken und Handeln beeinflussen kann. Doch welches Potenzial erschließt sich uns Designern damit? »Design for President«? Oder doch wieder nur Zauberlehrling? Denn Fogg behauptet: Wir können heute Maschinen erschaffen, die das Denken und Tun der Menschen verändern, und diese Maschinen können das autonom.

Design ist der Prozess von einem bestehenden zu einem wünschenswerten Umstand, sagte Milton Glaser. Keine Frage: Design differenziert, steigert Markenwerte, treibt Innovation und fördert den Absatz. Aber ist es unser Wunsch, dass Maschinen uns am Ende autonom manipulieren? Wenn Design als Disziplin im Club der Einflussreichen angekommen ist, tragen wir damit die Verantwortung dies zu entscheiden auf unseren Schultern.

Nix bunte Bildchen, fertig mit »Dinge hübsch machen«. Wir Designer sind von Braun, Breschnew und Reagan in Personalunion. Denn was, wenn Persuasive Design durch Künstliche Intelligenz tatsächlich automatisiert wird? Wenn auf Grund von Daten wir selbst unser Schaffen nicht mehr kontrollieren, sondern unsere eigene Kreativität unkontrolliert beeinflusst wird? Was, wenn unsere Absicht, den Menschen in den Mittelpunkt zu setzen, ihm das Leben und die Dinge einfacher zu machen, ihn in Wahrheit ins Abseits drängt?

Wie so oft ist es eine Frage der Perspektive und der selbst erlebten Geschichte. Tony Fadell, der Vater des iPads, erzählte zum Beispiel neulich, dass die meisten Designer und Coder aus seinem Team damals in ihren 20ern waren und keine Kinder hatten. Heute haben sie welche und bewerten ihr damaliges Handeln deutlich kritischer.

In einer digitalen Welt müssen wir das Ausmaß unserer Designhandlungen auf den Menschen und die Gesellschaft über Produktgenerationen hinweg betrachten.

Ich denke, spätestens heute – in einer digitalen Welt – müssen wir das Ausmaß unserer Designhandlungen auf den Menschen und die Gesellschaft über Produktgenerationen hinweg betrachten. Ich glaube nicht, dass wir uns hinter irgendwelchen Briefings oder Anweisungen von Product Ownern verstecken können. Schon John F. Kennedy sagte: Technologie hat kein eigenes Gewissen. Ob es eine Kraft für das Gute oder das Schlechte wird, hängt vom Menschen ab.

In Anbetracht der wahren Verantwortung unserer Zeit brauchen wir eine neue Definition, was es bedeutet, Designer zu sein und Design zu machen. Und ganz sicher müssen wir über Designethik, Haltung und soziale Verantwortung im Zeitalter von KI sprechen.

Erstveröffentlichung: PAGE online (14.02.19)

Karel Golta

Karel J. Golta

CEO + Founder

Karel, CEO und Gründer von INDEED, ist Schweizer, aber alles andere als neutral. Wenn er nicht gerade mit Kunden „the next big thing“ plant, kann man mit ihm kontrovers über den Wert von Design diskutieren.

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