Seit Anbeginn des Jahres scheinen wir von einem unvorhergesehenen Ereignis in die nächste Katastrophe zu schliddern. Während Australien noch brannte wurden in China plötzlich die Leute krank. Und nur ein paar Wochen später schloss Europa seine Grenzen, in ganz Italien und New York brach die Hölle los und weltweit verkündeten Regierungen den Lockdown – außer Schweden (aber das ist ein eigenes Thema). Virologen wurden die neuen Superstars, während Aluhutträger wilde Theorien über 5G in die Welt setzten und wir alle kurze Zeit später nur noch mit Maske einkaufen gingen. Corona hat uns systemisch, politisch, zwischenmenschlich ganz schön durch- und wachgerüttelt. Wir sehnen uns nach der Vorhersagbarkeit der Normalität, nach der Fähigkeit zu wissen, was morgen passieren wird. Und vielleicht kann die nun gelaunchte Tracing-App für Covid-19 uns ein Stück der Abnormalität abnehmen?

Gut getrackt ist halb gewonnen?

Tracing Apps sind die große Hoffnung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft – glaubt man jedenfalls der aktuellen Berichterstattung in der westlichen Welt. Und wer, uns bei INDEED kennt, weiß, dass wir technischen Lösungen durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen. Aber wir schauen auch gerne genauer hin, ob bzw. für wen diese Lösung eigentlich so großartig ist.

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Spielen wir das einfachste Szenario einmal durch: Die Bevölkerung ist ausgestattet mit der passenden App, die im deutschen Fall nur meine Nähe zu anderen Geräten und damit potentiellen Ansteckungsrisiken speichert. Sollte ich, während ich ansonsten die „Normalität mit Maske“ genieße, einem Risiko ausgesetzt gewesen sein, warnt mich die App und ich begebe mich freiwillig in Selbstisolation und lasse mich gegebenenfalls testen, falls Symptome auftreten. Sollte ich positiv getestet werden, tue ich das per App kund und alle, die ich möglicherweise gefährdet habe, werden benachrichtigt.

In der Theorie könnten Wissenschaftler also so sehr schön sehen, wie und ob sich ein Ansteckungsherd ausbreitet oder eingedämmt wird. Südkorea hat mit Kontaktnachverfolgung und der Ausbreitungsüberwachung bereits Eindämmungserfolge verzeichnen können. Hört sich also vielversprechend an, wenn da nicht die üblichen Fragen wären:

  • Wer speichert da wo meine und andere Bewegungsdaten in welcher Form und wie lange?
  • Welche Flächendeckung/Verbreitung braucht so eine App eigentlich, um sinnvoll zu funktionieren?
  • Wenn man sich einmal entschieden hat, seine Daten preiszugeben, wer stellt sicher, dass nicht neue Funktionen (klammheimlich) hinzukommen?

Einige dieser Fragen beantwortet die Website zur App: https://www.coronawarn.app/de/faq/ (DE/EN). In Südkorea ist der Fall klar: Hier steht im Notfall der Infektionsschutz vor den Persönlichkeitsrechten. In Deutschland hat man auf eine spezielle Gesetzgebung verzichtet, da die Daten privat bleiben und nicht zentral gesammelt werden – so die Kurzfassung.

Eine Umfrage der FAZ zeigt eine positive Grundstimmung. 70 % der über 3.000 Befragten gaben an, dass sie gerne und asap die App laden und nutzen wollen (Stand 15. Juni 2020 um 13:45 Uhr). Amerikanische Umfrageergebnisse zeigen deutlich weniger Befürwortung in der Bevölkerung. Studien legen nahe, dass mindestens 60-70% der Bevölkerung die App aktiv und zweckbestimmt nutzen müssten, um effektiv zu sein. Handy zu Hause lassen bei der Post-Corona-Party oder ein Near-Field-Protector wären dann zu vernachlässigende Ungenauigkeiten.

Der Roll-out in Island zeigt jedoch, dass nicht einmal 40% der dortigen Bevölkerung Gefallen an dieser Art der Normalitätswiedergewinnung finden. Ob dies nun der Fall ist, weil sie den Autoritäten misstrauen oder Repressalien fürchten, sollte doch mehr aufgezeichnet und gespeichert werden als angegeben, lassen wir mal dahingestellt. Es könnte auch schlicht Faulheit oder Ignoranz sein. Für Touristen ist die App verpflichtend, was gemischte Reaktionen bei unseren Kollegen hervorrief. Von „angemessen, um die einheimische Bevölkerung zu schützen“ bis hin zu „kann ja selbst entscheiden, da nicht einzureisen“.

Indien ist aktuell die einzige Demokratie, die eine App verpflichtend gemacht hat. Eine Nicht-Installation hat hier ernste Auswirkungen vom Jobverlust bis hin zur Inhaftierung. Diese Konsequenz schockierte die meisten unseren Kollegen.

Nachgefragt bei den Kollegen

Eine Blitzumfrage unter unseren Kollegen ergab eine positive Grundstimmung. 58 % der Kollegen wollen die App laden und nutzen. 25 % der Kollegen stehen der App-Lösung verhalten gegenüber, während Einzelne sich erst noch tiefer mit der Thematik beschäftigen wollen, bevor sie entscheiden.

Datenschutz, Anonymität und Freiwilligkeit sind ihrer Meinung nach die zentralen Kriterien für einen erfolgreichen Launch der App. Aber es gab auch gezielte Nachfragen:

  • Woran erkennt die App eigentlich, dass alle Beteiligten eine bzw. keine Maske getragen haben, und welche Auswirkungen hat das auf die Infektionsgefahr?
  • Und was ist, wenn ich einmal positiv getestet wurde, gelte ich nach Genesung nicht mehr als Ansteckungspotential und kann die Warn-App ignorieren?

Zu diesen Fragen gibt die Website aktuell noch keine Auskunft, aber die Kommunikationskampagne rollt ja auch gerade erst an…

Wir machen uns intern zudem Gedanken darum, wie wir die Kollegen weiter für das Thema sensibilisieren und mit möglichen Warn-Fällen bei INDEED umgehen werden. Home-Office funktionierte jetzt ja eigentlich ganz gut – also sollte im Verdachtsfall keine Panik ausbrechen. Oder?!

Immunität als die letzte Illusion?

Eine Durchseuchung und anschließende Herdenimmunität, bei der der Virus aus Mangel an potentiellen Opfern eingeht, ohne nennenswerte menschliche Opfer zu hinterlassen, scheint nach dem aktuellen Wissensstand unwahrscheinlich bis unmöglich. Zudem sind wir auch noch relativ ahnungslos, was die Immunität nach überstandener Erkrankung durch SARS-COV-2 angeht. Untersuchungen legen nahe, dass die Immunabwehr lernt – aber wir sind weit entfernt von einer Legion der Genesenen.

„Immunishness“ oder Immunitäts-Kontinuum sind Schlagworte, die aktuell die Diskussion bestimmen. Faktoren wie Alter oder Schwere des Verlaufs erschweren eindeutige Aussagen; ebenso falsch-positive und falsch-negative Testergebnisse. Höchstwahrscheinlich sind Genesene „resistent(er)“ gegen das Virus, doch wer will bzw. kann das schon mit Sicherheit nach 6 Monaten Forschung an einem zuvor unbekannten Virus sagen?

Laden wir also alle die App runter und schauen mal, wie weit sie uns bringt?

Das darf und soll jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist eine aufgeklärte Entscheidung. Deshalb haben wir ein paar Links gesammelt, die hoffentlich interessant sind und zur eigenverantwortlichen Entscheidung beitragen (ganz ohne Aluhut).

Weiterführende Infos zur App:

FAZ, German Corona App, ArsTechnica, Acceptance in America, Technology Review, Iceland’s Rakning-C19, Technology Review, India, The Economist, Contact Tracing

Und zu anderen Artikeln, die auch lesenswert waren/sind:

Worldwide Data Hub; Wired, Immunity oder Superpower; Sturm und Drang, Cultural Transformation

Uns bleibt nur zu sagen: Wir fliegen auf Sicht – ob mit oder ohne App. Wir machen Pläne für die kommenden Wochen und Monate, in der Gewissheit sie ändern zu müssen. Willkommen im abnormalen Jahr 2020.

Stefanie Wibbeke

Stefanie Wibbeke

Marketing & Communications

Stefanie leitet unser Kommunikations- und Content-Team. Als Wahlhamburgerin glaubt sie an Multi-Channel-Experiences und Häkeln.

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