Roman Schöneboom war einer unserer Vortragenden beim Service Design Day am 1. Juni. Anhand seiner mit Insights gespickten Präsentation teilte er sowohl Herz- als auch
Schmerzerfahrungen und Learnigs aus seiner Arbeit in großen Organisationen – darunter das UK Ministry of Justice, Tesco PLC, der weltweit drittgrößte Einzelhändler und die Lloyds Banking Group, eine der vier großen UK-Banken. Im Nachgang machte er mit bei unseren ‚3 Fragen an…’:

Man muss ja ehrlich sagen, dass Service Design in Deutschland noch recht stiefmütterlich behandelt wird. In England sieht das schon ganz anders aus – können Sie uns vielleicht von ein, zwei interessanten Beispielen aus Ihren Tätigkeiten und Erfahrungen erzählen?

Deutschland und Service Design… – in der Tat zwei Wörter, die nicht korrespondieren.

Ich musste Deutschland im Jahr 2012 verlassen, nachdem ich meinen Bachelor in Media Design gemacht hatte und es keine Möglichkeit gab, einen Master in Service Design oder einem ähnlichen Studiengang nachzuschieben. Ich denke, allein das sagt alles über die Industrie in Deutschland. Ich zog dann nach England und nachdem ich nach zwei Jahren den Master in Service Design gemacht hatte, arbeite ich für verschiedene Organisationen.

Den User in den Mittelpunkt zu stellen, ist etwas, in dem englische Ministerien wirklich gut sind. Den Weg, den das British Government vor 10 Jahren eingeschlagen hat, um den Service für die Bürger zu verbessern, ist eine echte Erfolgsstory und zeigt, dass es keine Angst vor einem anderen Mindset und neuen Wegen gab. Ein Beispiel:

Ich erhielt ein Schreiben der HMRC (‘Her Majesty’s Revenues and Costs’), in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich im letzten Jahr zu viel Steuern gezahlt hätte. Mir wurden zwei Optionen angeboten: Entweder könnte ich innerhalb der nächsten 28 Tage einen Scheck erwarten, den ich bei meiner Bank einlösen könnte. Oder ich könnte ein neues Konto über  die HMCR eröffnen und darüber eine schnellere Zahlung erhalten. Als Service Designer wählte ich Option 2.

Das Konto einzurichten dauerte eine Minute, und wenn eine Angabe nicht richtig war, gab es eine klare Anweisung, wie ich dies ändern konnte. Nachdem das Konto dann erstellt war, öffnete sich eine bereits ausgefüllte Anfrage für die Rückzahlung (klar, die Regierung hat ja meine Daten). Ich musste lediglich überprüfen, ob die Informationen richtig waren und digital unterschreiben. Zwei Tage später war das Geld auf meinem Konto. Das nenne ich Service!

Ein Projekt, an dem ich selbst gearbeitet habe, zeigt, wieviel Einfluss Service Design auf Organisationen haben kann: Ich arbeitete mit einem Team des Ministry of Justice an einer digitalen Bezahlplattform für Rechtsanwälte. Wir hatten eine agile Vorgehensweise gewählt, mit kontinuierlichen Research-Schleifen, einer soliden Steuerung und einem soliden Bewertungsverfahren.

Nachdem wir die Beta-Phase erreicht hatten, verschafften wir uns einen Überblick darüber, wo wir nun standen und warfen einen Blick auf die möglichen Auswirkungen, wenn der Service live ginge:

  • ‍Wir wären in der Lage, den Papiereinsatz um 80 % zu reduzieren (gestartet hatten wir mit 11 Tonnen pro Jahr – was einer halben Boeing 747 entspricht!).
  • Wir hatten sowohl die notwendigen Schritte und Ablehnungszyklen reduziert als auch den Zeitraum in dem Forderungen gezahlt werden – nämlich von 23 auf 1 Tag.
  • Mit der Plattform führten wir ein neues Feature ein, das ermöglichte, fehlerhafte Forderungen zu unterbrechen und weitere Ausführungen anzufragen. So vermieden wir die sogenannten weichen Ablehnungen (Zurückführung an einen früheren Punkt des Vorgangs) ebenso wie die harten (direkte Zurückweisung der Forderung).
  • Die Plattform stellte die Fallbearbeiter zufrieden, weil sie ihre Ziele nun einfacher erreichten, und das wiederum erhöht die Effizienz und reduziert Berührungsängste.
  • Wir integrierten außerdem ein weiteres Feature für die Fallzuweisung (Fälle werden den einzelnen Mitarbeitern je nach ihrer Erfahrung zugewiesen) und konnten so einen ursprünglich vierstündigen Prozess auf 15 Minuten herunterbrechen – für 400 Forderungen.
  • Wir stellten sicher, dass es keine Compliance-Themen mehr gibt, sondern dass das System automatisch Updates für die Gebührenerhebung fährt.

Durch unseren frühen Prototypen in der Beta-Version war das Ministerium ohne Probleme in der Lage, 2000 Forderungen abzuwickeln und zu zahlen. Ein echter Mehrwert dank des Service Design-Ansatzes.

Erfolgreiche Design-Prozesse beginnen mit einem sinnvollen User Research. Worauf ist zu achten, damit dieser relevante Ergebnisse erzielt?

Wenn Unternehmen einem tiefen emotionalen Verständnis hinsichtlich der Bedürfnisse ihrer Konsumenten eine Schlüsselrolle zukommen lassen, kann echte Transformation geschehen. Aber: Wie Insights gesammelt und präsentiert werden, trägt wesentlich dazu bei, wie diese dann auch genutzt werden. Niemand wird jemals sagen, dass er durch einen hundertseitigen Report inspiriert wurde. Wenn aber andersherum die Insights nur im Kopf des Marktforschers existieren, ist der Research nicht viel mehr als eine sich selbst nützende Aktion.

Weg von ‘etwas, das ein Marktforscher tut’ hin zu einer Team-Aktivität wird Resarch am besten durch Storytelling und Visualisierung transportiert und dadurch, dass es als Teamsport betrieben wird und die Zusammenarbeit für Top-Ergebnisse sorgt.

Wie man dahin kommt, ist in meinen ‘9 Lessons learned’ nachzulesen.

(c) Roman Schöneboom

Was können wir Ihrer Meinung nach tun, um die Unternehmen weiter von der Bedeutung
und der Notwendigkeit von Service Design zu überzeugen und sie für das Thema zu begeistern, damit es weiter vorangetrieben wird?

Unternehmen müssen sich dessen bewusst sein, dass die Nutzererfahrung heutzutage die einzige Differenzierung zu den Mitbewerbern ist. Customer Experience bedeutet, die Person im Kopf zu haben, an die man verkauft, den Kontext, in dem sie steht und ihre echten Bedürfnisse. Es bedeutet, sich empathisch in ihre Situation hineinzuversetzen und Mehrwert zu liefern. Unternehmen müssen darin investieren, den Kunden in den Mittelpunkt zu rücken, genauso wie sie in Design Thinking und/oder Service Design investieren müssen, um Insights bzgl. ihrer Kunden zu ermitteln, einen nutzerzentrierten Ansatz zu etablieren, Produkte und Services zu entwickeln, die Menschen gerne nutzen. Das schafft Kundenbindung!

Die deutsche Designindustrie muss ihre Siebenmeilenstiefel anziehen um aufzuholen – andernfalls werden ausländische Unternehmen dieses Marktpotential alleine behaupten. Wenn wir nachforschen, finden wir Folgendes hinsichtlich des deutschen Marktes: Die Finalisten des German Design Awards in der Sparte Newcomer arbeiten an Mapping Rooms (mit designten Einkaufswagen), untersuchen Tischmanieren und Kochen, arbeiten an und mit Künstlicher Intelligenz, versuchen, klassische Naturstudien mit Technologie zu vereinbaren und entwickeln umfangreiche Glassstrukturen. Werfen wir einen Blick in die aktuelle Ausgabe der PAGE, gibt es nur ein einziges Projekt mit Bezug zu Service Design – neben Themen wie visuelle Identität, Interaction Design, Illustration, Journalismus, handgemachter Typo, Farben etc. Und ich könnte noch viele weitere solcher Beispiele nennen.

Der wichtigste Schritt für eine Organisation ist es, eine Inhouse-Kompetenz aufzubauen, ein Team, das helfen kann, entsprechende Produkte zu erstellen, Kollegen zu trainieren, das dafür verantwortlich ist, Grundregeln und Guidelines zu entwickeln und digitale Basis-Sets und Plattformen mit Tools und Methoden zu liefern.

Unternehmen wie SAP und die Deutsche Telekom haben längst begonnen, in Design Thinking zu investieren. Dieser Prozess braucht Zeit, zahlt sich aber aus. Unternehmen, die darin investiert haben, design-getrieben und nutzerzentriert zu agieren, übertreffen andere Unternehmen, die das nicht getan haben, um 228 % an Leistung (Anmerkung der Redaktion: Roman bezieht sich auf DMI Design Value Score). Nutzerzentriert zu handeln treibt alles voran.

Titelbild von Jon Tyson via Unsplash

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